Brief von Roman Koidl – die tägliche Kolumne im BLICK (CH)
Liebe Sprache,
es ist Erntezeit, Äpfel schimmern rotgrün, der Wald gewandet sich ocker, und die Stimmung ist bisweilen naturtrüb. Zeit, ein Begleitmedium wieder zu entdecken, dem wir zu Unrecht Beiläufigkeit beimessen: das Radio. Auf SRF 2 Kultur, einem Sender, der Aufmerksamkeit verdient, äusserte sich am Sonntag der bedeutendste lebende Schriftsteller der Schweiz, Adolf Muschg. «Hochdeutsch war auch unsere Sprache», sagte der fast 80-Jährige und las damit indirekt jenen die Leviten, die meinen, Mundart eigne sich als politisches Instrument nationaler Abgrenzung. Die primäre Zweisprachigkeit der Schweizer sei «eine Pflanzschule für das eigene kulturelle Verhalten», so der Dichter. Man lerne besser lesen, aber auch «mit Differenz umzugehen». Muschg äusserte sich im Sinne Dürrenmatts, der Hochdeutsch als Vatersprache bezeichnete, während Mundart die Muttersprache darstelle. Wir sollten mehr hören, von Menschen im Herbst.
Roman Maria Koidl