Brief von Roman Koidl – die tägliche Kolumne im BLICK (CH) Liebe Kunstfreunde, 1400 Bilder in der Plattenbau-Wohnung? Habe ich auch, werden nun viele Eltern mit Kindern sagen. Der nette Herr Gurlitt kann bei seiner etwas obskur gelagerten Sammlung allerdings deutlich höhere Werte präsentieren, auch wenn Ihnen die Bilder Ihrer lieben Kleinen natürlich viel wertvoller sind. Damit sind wir auch schon beim Problem: dem Spannungsfeld zwischen Gerechtigkeit und Recht, zwischen Moral und Rechtsstaat. Der Fall Gurlitt weitet sich zu einem Staatsskandal aus. Denn ausgerechnet Deutschland hat für Nazi-Raubkunst eine kurze Verjährungsfrist von 30 Jahren. Gurlitt fordert seine Bilder zurück und hat dabei das Recht auf seiner Seite. Es ist auf einmal der Staat, der versucht, die Gerechtigkeits-Keule zu schwingen. Dessen Organe versuchen sich an einer Novität: dem moralischen Verfahren. Scheinheiliger Ersatz für die beschämenden Versäumnisse der Nachkriegszeit. Der Staat zeigt Gesicht und wird es verlieren. Roman Maria Koidl