Früher waren wir Kunden, heute sind wir das Produkt

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Früher waren wir Kunden, heute sind wir das Produkt

Interview mit dem Bestseller-Autor Roman Maria Koidl. Koidl war Dozent für Kommunikation und Wissenstransfer und hat zahlreiche Start-up-Unternehmen u. a. im Bereich E-Commerce und digitale Medien gegründet. Neben Büchern zu wirtschaftlichen Themen veröffentlichte er die SPIEGEL-Bestseller »Scheißkerle« und »Blender«. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Koidl als Internetberater von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bekannt. In seinem neuen Buch »WebAttack« beschreibt Roman Maria Koidl, wie wir uns – als digital Naive – Staat und Großkonzernen ausliefern, die längst um das wirtschaftliche Monopol unserer Köpfe kämpfen. Eine Zukunft, die nicht uns selbst, sondern dem »System« gehört.

Die Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Snowden haben dazu geführt, dass immer intensiver über Überwachung und das grenzenlose Sammeln von Daten durch Großkonzerne diskutiert wird. Die Amerikaner und die NSA ziehen immer wieder den „Kampf gegen den Terror“ heran, um ihre Vorgehensweise zu rechtfertigen. War der sogenannte „Kampf gegen den Terror“ nur die Spitze einer allgemeinen Wesensveränderung des Staates, wo Nationen sich auflösen und Bürgerrechte nicht mehr gelten, wie vor einigen Jahren der italienische Philosoph Agamben schon festgestellt hatte?

Koidl: Genau das ist, wenn ich etwas Persönliches an den Anfang stellen darf, meine Motivation gewesen, dieses Buch zu schreiben. Übrigens auch die Motivation, mich politisch zu engagieren. Das Wesen der digitalen Relvolution ist, dass sie sich größer und rasanter darstellt als jeder andere Umbruch in der Menschheitsgeschichte und zugleich absurderweise die geringste Aufmerksamkeit erfährt. Unsere Mediengesellschaft reagiert auf “äußere Anlässe”. 15 Jahre wird über den neuen Bahnhof in Stuttgart informiert, debattiert, budgetiert. Trocken, administrativ, sachlich und von den Bürgern mit Desinteresse begleitet. Wenn der erste Bagger kommt und im TV den ersten Baum abreißt, verstehen die Menschen und gehen auf die Zinne. Bei der digitalen Revolution stehen wir vor dem Problem, dass starke Bilder derzeit eher benutzt werden, um Ängste zu schüren. Terror, Verbrechen, Risiken: das ist der Dreiklang, mit dem wir stillschweigend einer Aushöhlung unserer Grundrechte zustimmen. Das ist vergleichbar mit dem Marketing, mit dem Versicherungsgesellschaften Berufsunfähigkeits-Policen verkaufen. Das Beispiel hinkt weniger als es auf den ersten Blick den Anschein hat. In beiden Fällen geht es um Kommerzialisierungsstrategien. Anders gesagt, es geht nicht um die öffentliche Sicherheit, den Schutz der Bürger, sondern um ausschließlich wirtschaftliche Vormachtstellungen. Diesem kapitalistischen Imperialismus 2.0 müssen wir eine digitale Bürgerrechtsbewegung entgegen setzen.

Wenn man auf der einen Seite die Arbeit von Geheimdiensten wie die NSA betrachtet und auf der anderen Seite sich vergegenwärtigt wie Großkonzerne wie Google, Amazon oder Apple massenweise von Daten speichern, alles an Informationen über Individuen sammeln und daraus sogar Voraussagen für künftige Verhalten und Entscheidungen errechnen, sind das schon „Meta“-Konzepte, die schon einen religiösen Charakter haben? Big Data als die allwissende Instanz?

Koidl: Gegenfrage: sehen wir uns angesichts der Unwissenheit und Ignoranz unserer demokratisch gewählten Vertreter zu diesen Themen nicht geradezu schutzlos ausgeliefert? In jeder Mettwurst kontrollieren wir die Inhaltsstoffe, es gibt Auflagen, Verordnungen, sogar die Schriftgröße auf der Verpackung ist definiert. Einen digitalen Verbraucherschutz gibt es nicht. Deswegen herrscht in den Klondikes des digitalen Datamining derzeit “WWW”, wirtschaftlich wilder Westen. Ich fordere dringend ein Ministerium für Internet und Datenschutz.

Sie sprechen in Ihrem Buch davon, dass die gigantischen Massenspeicher von sämtlichen Daten, die man überall hinterlässt, einem „System“ zur Verfügung steht, die keinerlei demokratische Legitimation dafür hat. Was bezweckt dieser „Imperialismus 2.0“ – wie Sie es nennen – damit? Was sind die Auswirkungen auf die Rechtstaatlichkeit und Bürgerrechte?

Koidl: Es geht um die Sicherung wirtschaftlicher Vormachtstellung in der digitalen Revolution, dem größten Umbruch aller Zeiten. Es geht um Milliarden, um die Verteilung gigantischer Märkte. Früher waren wir Kunden, heute sind wir das Produkt. Uns muss klar werden, dass wir uns mit der Preisgabe unserer privaten Daten nicht nur angreifbar und erpressbar machen, sondern, dass wirtschaftlichen aber natürlich auch politische Systemen in der Zukunft durch Datenfusion unbeschränkte Möglichkeiten der Manipulation und Agitation zur Verfügung stehen. Wir werden ein System erleben, das uns vollständig steuern wird. Wer sich widersetzt, wird technisch ausgegrenzt. Waren dazu im 3. Reich noch “Schreibtischtäter” notwendig, können sich die Herren dieser Interessen künftig darauf berufen, zu sagen: “Sorry, es ist einfach das technische System”.

Die Menschen, die heute ihre Privatsphäre nicht mehr schützen können oder wollen, würden zu „modernen Sklaven eines hypereffizienten weltweiten Kommerzes“ mutieren, heißt es in Ihrem Buch. Wie kann man diesen Menschen überhaupt ihre Situation, ihre Abhängigkeit oder Knechtschaft bewusst machen? Denn Sklaven in der Vergangenheit hatten immerhin das Privileg, dass ihnen ihre Situation, ihre Abhängigkeit klar war. Den Sklaven auf den Baumwollfeldern war es bewusst, dass sie Sklaven waren, während der moderne Mensch gar kein Bewusstsein von seiner Knechtschaft hat…

Koidl: Marie von Ebner-Eschenbach hat gesagt: “Glückliche Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Sklaverei”. Ich saß gestern in einer Talkshow und diskutierte mit einer geschätzten Schauspielerin. Ihre Eltern wurden in der DDR verfolgt, überwacht, ausgewiesen. Ich bin dennoch gescheitert Ihr zu verdeutlichen, dass wir gerade dabei sind ein viel schlimmeres System zu installieren. Stets höre ich “ist mir egal, ich habe nichts zu verbergen”. Das ist zum einen Gedankenlosigkeit und mangelndes Geschichtsbewusstsein. Zum anderen nutzt die digitale Wirtschaft allzu menschliche Schwächen und Bequemlichkeiten. Ein Hauptinstrument, User zur Preisgabe des Wertvollsten zu bewegen, was sie besitzen (nämlich ihre Daten), lautet folgerichtig “Gameifizierung”.

Ein wesentlicher Teil der Geheimdienstarbeit findet heute im Bereich der Wirtschaftsspionage statt. Sind damit die Geheimdienste längst Teil einer um Märkte kämpfenden Ökonomie und ist dadurch das Primat der Politik nicht längst obsolet geworden?

Koidl: Wir sind sicherlich zu spät, was die staatliche Ausspähung anbelangt. Bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen könnten wir noch etwas retten, wenn wir jetzt schnell und konsequent ordnungspolitisch handeln.

Liegt der Hauptgrund für Big Data nicht im Wesen unseres global herrschenden Finanzsystems, was auf Wucher und ewigem, grenzenlosem Wachstum basiert, und somit die technische Perfektion als Ausbeutungsinstrument in seinen Dienst stellt?

Koidl: Das globale Finanzsystem ist ein für sich höchst kritikwürdiger Komplex. Für die großen Treiber, die Financiers von Big Data, halte ich aber eher Pornografie und Spiele. Daher kommt die Kohle für Innovation und Neuerungen.

Eine philosophische Grundfrage – die in den bisherigen Debatten kaum behandelt wurde – ist ja, ob die Technik überhaupt etwas Neutrales ist. Ist es nicht naiv, wenn der moderne Mensch in dem Glauben lebt, dass die Technik etwas neutrales ist? Verkennt man damit nicht das Wesen der Technik, das nach Heidegger darin liegt, dass nicht der Mensch die Technik, sondern die Technik den Menschen bestimmt?

Koidl: Mir scheint, es wird geradezu versucht, Technik zum besseren Menschen zu machen, Technik als überlegene Instanz. Die Apologeten der virtuellen Intelligenz predigen diese Religion. Wie alle Revolutionen wird auch die digitale von enttäuschten jungen Männern betrieben. Deren Wünsche an eine bessere Welt sind nichts anderes als die Projektion eigener Defizite auf eine Übertragungsfigur. Diese ist jedoch nicht human, sondern ein virtuelles Abbild, eine technische Projektionsfläche. Das Perfide an diesem System ist nämlich nicht, dass wir durch einen gigantischen Staatscomputer überwacht werden, der sich jederzeit zuschalten kann, schlimm genug. Derjenige, der uns überwacht, wird unser eigenes digitales Abbild sein. Ein Avatar unseres Selbst, wird zum ganz persönlichen “Big Brother”.

Die Fragen stellte der Blogger Eren Güvercin (http://erenguevercin.wordpress.com/)